JESUS CHRISTUS DAS BILD DES MEISTERS 



JESUS CHRISTUS DAS BILD DES MEISTERS
 

 

Bekennern seines Namens einst zum Gotte geworden, und denen, die das Tiefste seiner Lehre nie erfaßten, eine Beute erdenferner Phantasie, ward späterer Zeit der hohe Meister der die «frohe Botschaft» brachte, in einem Bilde überliefert, das nur in dürftigster Kontur noch schwache Spuren seiner erdenhaften Züge zeigt.
Und doch muß jedem, der des hohen Meisters wahre Lehre fassen will, zuerst die irdische Erscheinung des «Gesalbten» deutlich werden, will er nicht Phantasiegebilden sich ergeben und in weichlich frommen Träumen sich berauschen.

Er, von dem man das Wort berichten konnte:
«WAS NENNST DU MICH GUT? ( Lukas 18:19 ), ( Markus 10:18 ), ( Matthäus 19:17 )
NIEMAND IST GUT, AUSSER GOTT!»
– wie wäre er im Innersten ergrimmt, hätte jemals einer derer, die ihm nahe waren, es gewagt, ihm göttliche Ehren zu erzeigen und ihn einen Gott zu nennen…
Und wie er die Wechsler* und Verkäufer aus den Tempelhöfen (Johannes 2:14-16 )ihres Gottes trieb, so hätte er jeden «mit einer Geißel aus Stricken» davongejagt, der ihm gesagt haben würde: «Meister, auch dir wird man einst Tempel bauen!» – – –

Er war sich wahrlich seiner geistigen Würde wohlbewußt, so sehr er dann zu Zeiten auch sich klein und zaghaft fühlen mochte.
Wo wäre auch der Mensch zu finden, der stets nur im Bewußtsein seiner ganzen Kraft und seines höchsten Wertes sich bekundet hätte?! –

Ist sein Bewußtsein überlichtet in der hohen Geisteseinung mit dem «Vater», den das Urwort aus dem Urlicht offenbart – dem großen «Alten» der im «Anfang» ist: dem Menschen der Ewigkeit in seiner urgegebenen Zeugung – dann wird sein Wort «gewaltig» und er fühlt sich über alles Irdische emporgehoben.
Der Leuchtende des Urlichts zeigt sich dann in seiner höchsten Geistesmacht. –
In Stunden erdenhafter Bindung aber scheut er keineswegs davor zurück, auch seine tiefste Seelenangst zu offenbaren, und seine hohe Einsicht droht ihn scheinbar zu verlassen.
«MEINE SEELE 1ST JETZT IN BEDRÄNGNIS.
WAS SOLL ICH SAGEN? VATER, RETTE MICH AUS DIESER STUNDE!» ( Johannes 12:27 )

Er entzieht sich keineswegs dem Umgang mit anderen Menschen, auch wenn sie durchaus nicht seine Anhänger sind: ist fröhlich mit den Freudigen und trauert mit den Betrübten.
Sein Mitgefühl macht ihn zum Schützer der Armen und Unterdrückten, zu denen er selbst gehört; aber gleichzeitig wird er manches Reichen und Vornehmen Freund.
Gern nimmt er Gastfreundschaft an, selbst dort wo er weiß, daß man kaum an seine Sendung glaubt, und ihn nur geladen hat, um einen so seltsamen Gast zu sehen.
Wo immer er Güte des Herzens findet, ist er voll des liebendsten Verstehens; nur Heuchelei und Herzenshärte läßt ihn böse Worte finden.
Er drängt seine Lehre keinem auf; doch wo er fühlt, daß man nach ihr verlangt, auch wenn man sie bewußterweise noch nicht kennt, dort gibt er, was die Hörer – seiner Meinung nach – wohl fassen sollten.
Er geht nicht auf Ehrungen aus, aber wenn man ihn ehrt, so fühlt er sich aller Ehrung wert, und wenn ein enger Geist unter seinen Begleitern über Verschwendung zetert, weil kostbare Salbe dazu dienen muß, des Meisters Füße zu erfrischen, statt daß man sie verkaufte um der Armen Not zu lindern, so spricht er in Gelassenheit das Wort:
«ARME HABT IHR ALLEZEIT BEI EUCH, MICH ABER HABT IHR NICHT ALLEZEIT.» ( Johannes 12:8 )
Wobei er keineswegs – wie die spätere Auslegung will – den baldigen Tod vor Augen sieht, sondern lediglich daran denkt, daß er nicht oft an dem gleichen Orte weilt.

Nichts Menschliches war ihm fremd und er wußte gar wohl um den Kampf der Geistnatur im Menschen mit des Menschentieres schwer besiegbaren Gelüsten. – 
«IHR VERURTEILT NACH DEM SCHEINE, ICH ABER VERURTEILE NIEMANDEN, DENN AUCH DER VATER VERURTEILT KEINEN.» ( Johannes 8:15 )

Von seiner Sendung durchdrungen erklärt er: man möge den «Tempel» – die herrschende Priesterlehre – stürzen, und «in drei Tagen» wolle er sich erkühnen, ihn wieder «aufzubauen». ( Johannes 2:19 )
Die ihn so sprechen hörten, wußten sehr genau, wovon er sprach, auch wenn sie diese Worte wohlverwahrten um ihn der Tempellästerung dann schuldig zu befinden.
Doch läßt er sich gerne auch mißverstehen, wo er weiß, daß alle Erklärung ihm doch nicht das Verstehen bringen würde, das er sucht. –

Im vollen Bewußtsein seiner geistigen Sonderstellung unter den Menschen seiner Zeit kann er selbstherrlich sagen: 
«IHR SEID VON UNTEN, ICH BIN VON OBEN.
IHR SEID AUS DIESER WELT, ICH ABER BIN NICHT AUS DIESER WELT.» ( Johannes 8:23 )
Aber er wußte auch wie keiner derer, die ihm nahe waren, woher ihm seine hohe Würde kam, – wußte um seine jahrelange geistige Schulung, – wußte um das harte Ringen in sich selbst, dem er endlich die Gewißheit dankte, aus der er nun zu sprechen und zu lehren hatte, «anders als die Schriftgelehrten». – – –( Matthäus 7:29 ), ( Markus 1:22 )

Das hohe Mysterium seiner Sendung war nur wenigen bekannt und selbst die Wenigen erfaßten es nicht, bis auf den Einen, den er «liebte». ( Johannes 20:2 )
Nur dieser Eine wußte auch um seines Meisters geistigen Werdegang und um die tiefste Begründung seines Rechtes, zu lehren. 
Als nach des Meisters Tode dann «die Herde sich zerstreute», sammelte dieser Jünger um sich was seiner Artung war und gab sein Wissen denen weiter, die in seiner Schulung sich bewährten.
Erst eine spätere Zeit, die längst den äußeren Kult im steten Wachsen sah, der aus vorhandenen alten Riten sich gestaltet hatte und aus dem Bilde des hohen Meisters sich den Kultgott schuf, sprengte den kleinen Kreis der Geistigen die von Johannes einstens ausgegangen waren.
Als «Ketzer» gebrandmarkt gingen sie in der Verborgenheit unter, und mit ihnen das Bild des Meisters, der nie in seinem Leben sich als «Messias» ausgegeben hatte und es als Schändung seiner selbst betrachtet hätte, sich auf die gänzlich anders zu verstehenden Prophetenworte zu beziehen, in denen Spätere, nach seinem Tode, ihn «vorherverkündet» wähnten.–––

Aus: Die Weisheit des Johannes pdf Seiten: 22-30