Geist und Form

 

Dem neuen Menschen!

DIE FRAGE

Du willst in den Geist gelangen und hast den Weg zum Geiste nach langem Irren gefunden!
Und nun fragst du:
«Was soll mir fürder alle Form, da ich den Weg zum Inhalt weiß? –»
Belanglos und allen Wertes bar erscheint dir die Form; – du glaubst nicht nur, dass formlos dir das Innerste sich offenbare: – du siehst bereits in aller Form nur Hinderung!
Verächtlich erscheint es dir, der Form noch zu achten; – verächtlich erscheinen dir alle, die nach Form-Vollendung streben!
Du selbst glaubst aller Form nun entraten zu können!
Du willst dich, auch formlos, dennoch gewertet sehen als einen der nach höchsten Werten strebt!

Als arge Toren erscheinen dir alle, die daran Anstoss nehmen, dass du die Form missachtest!
Du fühlst dich hoch erhaben über dieser Anderen Torheit, und lächelnd fragst du: «Was soll mir auf dem Wege zum Geiste noch solche äusserliche Bindung? – Was soll mir die Form!? – – »

*

 

Siehe mein Freund: – ich zweifle nicht daran, dass du den Weg zum Geiste gefunden hast!
Ich zweifle aber, dass dir gute Führung werden wird, die du doch nötig brauchst, wenn du dabei verharren willst, der Form zu spotten!…

 

 Book 25 inhoud 

 

 

Du glaubst, man müsse deine Lauterkeit erkennen, müsse deines Strebens Inbrunst achten, und deines Willens reines Wollen müsse für dich zeugen…
Du bist auch gewiss durch solchen Glauben keineswegs irrig beraten und dennoch wirst du erkennen lernen müssen, dass du die Form nicht missachten darfst, ja, dass all dein Tun erst letzte Wertung erhält durch die ihm gemässe Form!
So wie man köstlichen Wein nicht darbieten wird in geringen irdenen Gefässen, da es den Wert des Weines missachten heissen würde, wollte man also ihn kredenzen, so erheischt schon die Ehrfurcht vor dem Geiste, dass dir nur vollendetste Form Genüge leiste, sobald du selbst zum «Tempel des Geistes» werden willst! – – 
All deine Selbstbekundung in der äusseren Welt wird stetig solcher Ehrfurcht Zeugnis werden müssen!
Sobald du den Weg zum Geiste einmal betreten hast, steht es dir nicht mehr frei, dich zu gehaben nach deiner Bequemlichkeit und augenblicklichen Laune! – –
Du hast Verpflichtung, dich selbst nun umzuschaffen und Ausdruck zu werden dem Geiste! 
Dich selbst sollst du zu höchster Form vollenden, und alles was immer durch dein Tun für andere erfassbar werden mag, soll deine Formvollendung sichtbarlich bekunden!… 
Nicht durch Verachtung der Form wirst du Erhabenheit beweisen! – 
Ein Tor nur kann sich «erhaben» glauben über alle Form ! – – 
Der wirklich Erhabene wird stets die Form beherrschen! – 
Es äussert sich solche Beherrschung schon in alltäglichstem Tun… 
Der Zyniker, der sich in Lumpen hüllt um seine Bedürfnislosigkeit zu zeigen, ist wahrlich ein kläglicher Geck, solange seiner Arme Kraft ihm noch ermöglicht, sich durch irgendeine Arbeit soviel zu erwerben, um sich ein achtbares Gewand zu kaufen! 
Wer sich hingegen selbst zum Tempel des Geistes wandeln will, der wird alle Mühe auf sich nehmen, damit er auch in seiner äusseren Erscheinung schon die Achtung vor sich selbst beweise… 
Erlaubt es sein Besitz, so wird man ihn zu jeder Zeit in der gewähltesten und besten Kleidung seines Landes sehen, und ist er arm, so wird er dennoch alles aufzubieten suchen, damit auch seiner Armut dürftiges Gewand noch allerorten Achtung finde…
Gewiss läuft mancher durch die Welt, der alles, was sein Erdendasein ihn erträumen lässt, nur in den Nähten seiner modisch-schnittgerechten Kleidung offenhart; – allein die würdige Gewandung innerlicher Vornehmheit wird sich noch immer unterscheiden lassen von blossen Draperien, die ein eitles Nichts umhüllen. –
So aber, wie die Art, den Körper zu bekleiden schon die Achtung eines Menschen vor sich selbst und vor dem Geistigen, dem er zum Tempel werden will, beweist, so wird man auch in allem seinem Tun erkennen können, ob er zu ehren weiss, was in ihm lebt. – –
Dass «gute Lebensart» auch vielen Menschen wichtig wurde, die durch sie verbergen lernten, was sie wirklich sind, beweist nur, dass man ursprünglich ihr nur begegnen konnte bei solchen, die auch wirklich waren, was sie schienen! –
Schöpfung der Menschen inneren Wertes, wird sie auch nicht entwertet, wo sie nur Maske bleibt, wie Gold nicht seinen Wert verlieren kann, auch wenn es die feile Dirne als Schmuckstück trägt…
Zahlreich sind die selbstgewissen Verächter solcher «guten Lebensart», die nicht bemerken, dass in ihr Form geworden ist, was sie selbst erst mit grosser Gebärde als ethische Forderung erstreben! – – –
Sie sehen nicht, dass selbst noch dort wo solche Lebensform zur «leeren» Form geworden ist, weil ihr die geistige Durchdringung fehlt, weit Besseres durch sie bewirkt wird, als ihre eigene Störrigkeit, die alle schöne Form als «Lebenslüge» wertet, je bewirken kann. – – – 
Wahrlich, gar oft sind «die Kinder dieser Welt» nicht nur «klüger», sondern auch besser, als jene, die sich allein bevorrechtet glauben «Kinder des Lichtes» zu werden!! 
Siehe, ich rate dir: missachte nicht die Form, – sei es in grossen, sei es in kleinen Dingen! 
Du sollst gewiss nicht nach Aneignung «leerer» Formen streben, aber dein ganzes Leben sollst du formen lernen und nichts soll dir zu geringfügig sein um all dein Streben darauf zu richten, es in seiner schönsten und vollkommensten Form zu offenbaren! – – –